Rezension: Ungehorsam von Naomi Alderman

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Ungehorsam von Naomi Alderman, Berlin Verlag, 2007


Zwischen Rebellion und Sympathie
Eines Abends erhält Ronit, eine 32-jährige, erfolgreiche und emanzipierte Finanzanalystin in New York, einen Anruf von ihrem Cousin Dovid, der ihr mitteilt, dass ihr Vater verstorben sei. Ronits Vater war ein hoch angesehener Rabbiner und Oberhaupt der orthodoxen jüdischen Gemeinde von Hendon im Nordwesten Londons. Ronit ist sich unschlüssig, ob sie dieses Ereignis zum Anlass nehmen soll, in die Enge der orthodoxen jüdischen Gemeinde zurückzukehren, der sie vor Jahren entflohen ist. Doch schließlich lockt die Aussicht, die hohen, silbernen, mit Blüten und Blattwerk verzierten Kerzenleuchter ihrer früh verstorbenen Mutter, um die sie ihren Vater nie zu bitten wagte, in Besitz zu nehmen. Sie beschließt nach London zu fliegen: „Alles kein Problem, redete ich mir ein. Das würde ich locker hinkriegen. Für ein Weilchen nach London fliegen, ein bisschen Familiennippes einsammeln, meinen Cousin Dovid und seine Frau besuchen, und dann wieder ab nach Hause.‟ Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass Esti, mit der sie einst eine verbotene lesbische Liebesbeziehung verband, in Hendon geblieben ist und Dovid geheiratet hat.
Naomi Alderman gewährt in ihrem Debütroman ihren Leserinnen und Lesern Einblick in die abgeschlossene Welt einer orthodoxen jüdischen Gemeinde und deren für Nichtjuden zum Teil archaisch anmutenden Gesetze und Rituale. Jedem Kapitel des Romans ist ein Zitat aus einem Gebet, dem Alten Testament oder jüdischen Sprichwörtern vorangestellt, dem eine kurze Auslegung der zitierten Worte folgt, der Roman ist gespickt mit hebräischen Begriffen. Vor diesem Hintergrund entfaltet die Autorin zunächst rückblickend den Beginn der Liebesbeziehung der beiden Frauen, deren Lebensentwürfe nicht unterschiedlicher hätten sein können, und schildert schließlich deren Wiederbegegnung in Hendon.


Vordergründig wird hier eine lesbische Liebesgeschichte erzählt. Da Homosexualität im orthodoxen Judentum als Sünde betrachtet wird, ist dies allerdings ein überaus konfliktträchtiger Stoff. Viele Fragestellungen entstehen bei der Lektüre des Romans im Kopf der Leserin. Wie fühlen sich orthodoxe Jüdinnen, wenn ihre Männer gemäß dem Schacharit, dem Morgengebet, beten: „Gepriesen seiest du, Ewiger, unser Gott, König der Welten, der mich nicht als Frau erschaffen hat‟? Sind ein feministischer Standpunkt und das orthodoxe Judentum überhaupt an irgendeinem Punkt miteinander vereinbar? Auf einer tiefer gehenden Ebene wirft das Werk grundsätzliche Fragen auf. Der Mikrokosmos der jüdischen Gemeinde lässt sich auf andere Gemeinschaften übertragen, die durch ähnlich rigide Regeln zusammengehalten werden. Welcher Handlungsspielraum zwischen Anpassung und Ungehorsam bleibt der Einzelnen, wenn sie den vorgeschriebenen Normen nicht gerecht werden will oder kann? Wenn sich aus dem Roman eine Quintessenz ziehen lässt, dann neben anderen vielleicht die, dass die Wahrhaftigkeit nicht der Anpassung geopfert werden darf.


Mit spitzer Feder und einer gehörigen Portion Ironie nimmt die Autorin die Bigotterie einzelner Gemeindemitglieder und das Schachern um die Nachfolge des ehrwürdigen Rabbiners aufs Korn.
Insgesamt sind die Figuren glaubwürdig dargestellt, einzig die Protagonistin wirkt in ihrer Widerständigkeit ein wenig überzeichnet. Da mag man es der Autorin kaum abnehmen, wenn sie in einem Interview mit dem „Guardian‟ bekundet, sie selbst habe mit ihrer aufmüpfigen Hauptfigur wenig gemeinsam (dies gilt im Übrigen auch für deren Homo- oder Bisexualität), denn sie habe nie gegen ihre orthodox jüdische Erziehung rebelliert. Den Roman dürfen wir indessen getrost als späte Rebellion begreifen, was Alderman im nächsten Satz auch einräumt. Dennoch schwingt im gesamten Roman gleichzeitig ein großes Maß an Sympathie und Wertschätzung für die traditionellen jüdischen Werte mit.


„Ungehorsam‟ ist brillant und sehr unterhaltsam geschrieben, nicht umsonst wurde Naomi Alderman für den Roman mit dem Orange Award for New Writers ausgezeichnet.


© Andrea Schroeder
zuerst veröffentlicht in: Virginia Frauenbuchkritik, Nr. 43, Frühling 2008

Rezension: Meine Jahre mit Pat. Erinnerungen an Patricia Highsmith von Marijane Meaker

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Meine Jahre mit Pat. Erinnerungen an Patricia Highsmith von Marijane Meaker, Diogenes Verlag, 2005

 
Diese Frau bringt dich noch um den Verstand
Marijane Meaker ist 32 Jahre alt, als sie all ihren Mut zusammennimmt und in einer New Yorker Lesbenbar die sechs Jahre ältere Patricia Highsmith anspricht. Die Chemie zwischen den beiden Schriftstellerinnen stimmt auf Anhieb, so dass sie sich bereits am nächsten Tag erneut verabreden. Dies ist der Beginn einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung, die zwei Jahre dauern soll. Eine Beziehung, die in der fast 750 Seiten starken Highsmith-Biografie „Schöner Schatten‟ von Andrew Wilson erstaunlicherweise so gut wie gar keine Berücksichtigung findet. Vielleicht hat dieser Umstand dazu beigetragen, dass Meaker motiviert wurde, ihre Erinnerungen an die Zeit mit Patricia Highsmith selbst in Buchform zu veröffentlichen. Marijane Meakers Erinnerungen reichen von der ersten Begegnung über den Umzug von New York in die Nähe von New Hope, Pennsylvania, wo die beiden Frauen ein Haus auf dem Land anmieten, bis hin zu einem letzten Treffen im Jahr 1992, dreißig Jahre nach ihrer Trennung.

 
„Manchmal schreibt ein Buch sich ganz von selbst. Man hat es wie auf einem Tonband im Kopf, und es kommt ungefragt hervor, ergießt sich buchstäblich über die Seiten‟, schreibt Meaker an einer Stelle ihres Buches. Dies trifft zweifelsohne auch auf „Meine Jahre mit Pat‟ zu, das Buch liest sich leicht, es besticht durch seine lebendigen Dialoge. Meaker, die – zum Teil unter verschiedenen Pseudonymen – über 40 Bücher veröffentlicht hat, versteht sich auf ihr Metier. Die Erinnerungen an die beiden Jahre an der Seite von Patricia Highsmith scheinen der Autorin sehr präsent zu sein, nie gewinnt die Leserin den Eindruck, dass irgendein Detail dem Erinnerungsvermögen mühsam abgetrotzt wurde. Dies ist umso bemerkenswerter, da zwischen dem Erlebten und der Niederschrift eine zeitliche Distanz von nahezu 45 Jahren liegt.

 
Diese große Distanz dürfte auch dafür gesorgt haben, dass Meakers Erinnerungen an Patricia Highsmith weder zu einer Abrechnung mit der ehemaligen Geliebten verkommen noch diese in übertriebenem Maße idealisieren. Sich selbst schont die Autorin im Übrigen nicht, wenn sie minuziös die Auswüchse ihrer obsessiv anmutenden Eifersucht schildert. Meaker beschreibt Patricia Highsmith im ersten Teil des Buches überwiegend als durchaus aufgeschlossene, aufmerksame und liebevolle Geliebte. Highsmiths negative Eigenschaften und Schrullen, wie beispielsweise ihre rassistischen und antisemitischen Ressentiments, werden jedoch ebenso wenig ausgespart. Ihr unmäßiger Alkoholkonsum ist im ganzen Buch allgegenwärtig. Als Meaker feststellt, dass die Freundin bereits am frühen Morgen zur Flasche greift, ist sie schockiert und es entsteht ein Streit, der den Anfang vom Ende der Liebesbeziehung der beiden Frauen markiert. Daneben gewährt uns die Autorin einen interessanten Einblick in die New Yorker Lesbenszene der fünfziger Jahre und wir erfahren einiges über die Lebensrealität lesbischer Frauen in einer Zeit, in der es noch üblich war, dass Frauen eines Restaurants verwiesen wurden, wenn sie Hosen trugen.
Ein Buch, das nicht nur eingefleischten Highsmith-Fans ein fesselndes Lesevergnügen bereiten dürfte.

© Andrea Schroeder
zuerst veröffentlicht in: Virginia Zeitschrift für Frauenbuchkritik, Nr. 39, Frühling 2006